Der Kunstwitz und die Kunst
Im zwanzigsten Jahrhundert erkennt man die moderne Kunst, soferne man kein
Kunstkenner ist, an ihrer Unverständlichkeit. Das Kopfschütteln des Laien ist
nun, am Ende dieses Jahrhunderts/am Anfang des nächsten Jahrhunderts, zu einer
selbstverständlichen Begleiterscheinung der Kunst geworden. Nicht mehr als
Defizit, sondern geradezu als Ausweis ihrer Differenziertheit, Nobilität und
Auratik wird die Unverständlichkeit der Kunst innerhalb der Kunstwelt
betrachtet und begrüßt.
Dieses Abkoppeln der Kunst von breiten sozialen Verständnishorizonten hatte
zwei Hauptgründe. Erstens war die Kunst wie alle anderen Bereiche
gesellschaftlicher Produktion vom historischen Prozeß der funktionalen
Ausdifferenzierungen betroffen. Die Einheit des Wissens und der Kultur zerfiel
in der Moderne in Expertenkulturen, welche die Spezialisierung und den damit
verbundenen Verlust von Allgemeinverständlichkeit vorantrieben. Zweitens fußt
die vielbeklagte Unverständlichkeit der modernen Kunst auf dem Mißverständnis,
die ältere Kunst sei für alle Menschen verständlich gewesen. Dieses
Mißverständnis besteht darin, das Wiedererkennen abgebildeter Gegenstände in
Kunstwerken mit dem Erkennen dessen, was den Kunstcharakter eines Werks
ausmacht, zu verwechseln. Die Pseudo-Kunstkennerschaft der Vielen, die z.B. in
einer religiösen Allegorie immer noch zu erkennen vermochten, das nackte
Frauen abgebildet waren, endete spätestens mit der abstrakten Kunst - ein
scheinbarer Kompetenzverlust, der erst einmal bewältigt werden mußte.
Das Neue an der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts besteht somit nicht darin,
daß nur, wer sich intensiv mit Kunst beschäftigt und sich die Kenntnis der
Zusammenhänge verschafft, ein Werk verstehen kann - das war schon immer so.
Das Neue besteht nur darin, daß die Exklusivität des Zugangs und die
Notwendigkeit von aktiver Erkenntnisbemühung offensichtlich werden.
Das Verschwinden der Abbildungsfunktion aus der modernen Kunst rief eine
parallele Gegenbewegung auf den Plan, die ihr spiegelbildlich antwortete,
indem sie massenweise Abbilder der abbildlosen Kunstwerke schuf: eine wahre
Flut von Kunstwitzen füllte die Zeitungen und Magazine. Obwohl diese neue
Bilderflut auf den ersten Blick zur Selbstrechtfertigung und Erfahrungsabwehr
der unwilligen Betrachter gegenüber moderner Kunst dienen sollte, hatte sie
doch zugleich den ungewollten Nebeneffekt, moderne Kunst massenmedial zu
verbreiten, sie in den Alltag von an Kunst desinteressierten Schichten
einzuführen und damit selbstverständlich werden zu lassen.. Im historischen
Rückblick auf die Geschichte des Bildes können Abstrakte Malerei und
Kunstwitzzeichnung als einander bedingende Parallelphänomene angesehen werden,
in deren Spaltung die Bewegung der Ausdifferenzierung des Bildbegriffs
anschaulich wird.
Während der Kunstwitz tausendfach die abbildlose Kunst abbildete, ereignete
sich in der modernen Kunst ein reziprokes Phänomen: Sie griff zur rhetorischen
Figur der Pointe. Durch die Abkoppelung von handwerklichen Voraussetzungen und
die damit verbundene Verlagerung des Wettbewerbs auf das Gebiet der Erfindung
von Konzeptionen, in denen die Kunst ihren jeweiligen historischen Zustand
selbst reflektierte, wurde ein momentaner geschickter Schachzug im Feld der
Lösungen kunstimmanenter Problemstellungen zum Hauptmittel der Erlangung eines
modeähnlichen kurzfristigen Erfolgs. Unter den Bedingungen der allgemeinen
Beschleunigung führte ein solcher Spontanerfolg bei Überschreitung einer
gewissen medialen Wahrnehmungsschwelle automatisch zu kunsthistorischer
Kanonisierung. Die Zeitgeschichte der neuen Kunst ließe sich - pointiert
gesagt - als zeitgleiche Mitschrift eines Stafettenlaufs ihrer gelungensten
Pointen bezeichnen.
Der Pointencharakter der modernen Kunst rückt diese in die Nähe des Witzes.
Gleichzeitig verlor der Witz das Image des Banalen und Niedrigen, seit Sigmund
Freud ihn neben dem Traum als einen der Hauptwege zur Erschließung unbewußter
Seelenvorgänge gewürdigt hatte. Dem Versuch, die Kunst mittels Witzen
abzuwerten, ging die Aufwertung des Witzes durch Wissenschaft und Kunst
einher. Wer heute ein Werk der Konzeptkunst kennerschaftlich würdigt und
verteidigt und dafür Worte sucht, der sagt dann schon einmal "das hat doch
eine gute Pointe". Das boshafte Argument aller konservativen Banausen gegen
moderne Kunst, diese sei doch nur ein Witz, enthält auch einen wahren und
positiven Kern, wenn man das Wörtchen "nur" wegläßt. Denn das Moderne an der
Kunst besteht nicht zuletzt darin, daß sie pointiert ist wie ein guter Witz,
in dessen Erfindung eines metaphorischen Kunstgriffs eine Wahrheit aufleuchtet,
die ansonsten hinter Konventionen verdeckt geblieben wäre.
Rückblickend läßt sich somit eine Konvergenz von Kunst und Witz erkennen, die
von beiden Instanzen unbeabsichtigt war: Der Kunstwitz wollte Nichtverstehen
vermitteln und wurde doch zum Medium der Verbreitung und des Verstehens von
moderner Kunst - ihr Element der Negation gegenüber dem schon Verstandenen
hatte er sehr gut verstanden. Die Kunst aber ließ sich wie der Witz auf die
Prozesse des Unbewußten ein, wurde situativ und reflexiv, brach schamlos Tabus,
unterlief soziale Normen und adaptierte sich der schnellen Moderne bis zur
temporären Punktualität einer zugespitzten Sinnerzeugung - sie wurde damit
pointenhaft wir der Witz.. Darum scheint es an der Zeit zu sein, Kunst und
Witz in ihrem wechselseitigen Verhältnis der Abstoßung, Differenzierung,
Spiegelung und Durchdringung zu untersuchen und in Beziehung zu setzen.
Art jokes and art
Unless you are an art connoisseur, modern twentieth-century art is marked by
its incomprehensibility. Indeed, at the beginning of the twenty-first century,
the fact that laymen shake their heads at art is seen as a matter of course.
Within the art world, the incomprehensibility of art is no longer viewed as a
deficit but greeted as actual proof of its sophistication, magnificence and
aura.
This uncoupling of art from general horizons of comprehensibility has two main
causes. First of all, as in other fields of production in our society, art has
been affected by the historical process of functional differentiation. In the
modern age, the unity of knowledge and culture disintegrated into cultures of
experts who furthered specialization and hence an even greater loss of general
comprehensibility. Moreover, the so greatly lamented incomprehensibility of
modern art is based on a misconception: the belief that in earlier times art
was comprehensible to everyone. This misconception stems from confusing the
ability to recognize the objects represented in artworks with the ability to
recognize what constitutes the artistic quality of a work. The pseudo
expertise of many who - in a religious allegory, for instance - were still
able to recognize that naked women were depicted in it, ended with abstract
art, at the very latest; and people had first to come to terms with this
apparent loss of competence.
In other words, what was new in twentieth-century art was not that an artwork
could only be grasped by those who had studied art extensively and acquired
knowledge of its contexts - for this had always been the case. What was new
was that the exclusiveness of art's accessibility had become so very obvious,
as also the necessity of making an active effort to understand it.
The disappearance of modern art's representational function led to the
emergence of a parallel countermovement in which this development was
reflected in countless depictions of non-representational artworks: newspapers
and magazines were literally flooded by art jokes. And although at first
glance, this new flood of images served to justify and defend the experiences
indignant viewers were having with modern art, it simultaneously had the
unintended side effect of disseminating modern art via mass media, of
introducing art into the daily life of whole sections of the population who
had no interest in art, and thus made it a quite normal phenomenon. In
re-examining the history of images, abstract paintings and art cartoons can be
seen as mutually dependent, parallel phenomena; it is in their split that the
movement to differentiate the concept of the image becomes evident.
While jokes about art were constantly involved in depicting
non-representational art, a reciprocal phenomenon occurred in modern art: it
adopted the rhetorical device of the punch line. In disassociating itself from
the requirements of craftsmanship, there was a shift in efforts toward the
field of concept creation - one in which art itself reflects its respective
historical state. And this temporary clever move within the arena of solutions
for problems immanent to art became a central means of achieving a fashionable,
momentary success. Under the circumstances of a general acceleration, such a
spontaneous success - when it crossed a certain threshold of media attention -
automatically led to its art-historical canonization. The contemporary history
of such new art might be pointedly described as the immediate recording of a
relay race, from one very successful punch line to the next.
The punch-line nature of modern art has caused it to have more in common with
jokes. Simultaneously, the joke has lost its image of being banal and low, or
at least this has been the case ever since Sigmund Freud recognized the joke -
alongside the dream - as one of the main ways in which unconscious inner
processes manifest themselves. The attempt to degrade art through jokes has
been accompanied by the joke being upgraded by science and art. Today anyone
grappling to appreciate or defend a work of concept art might on occasion say:
"It does indeed have a good punch line." The so spiteful argument often used
by conservative lowbrows against modern art, i.e. that it is just a joke, is
essentially true and positive if you leave out the small word "just". For what
is modern about art ultimately involves it having a good punch line like a
good joke - through the invention of a metaphorical device, a truth comes to
light which would otherwise have remained concealed by conventions.
In retrospect, a convergence between art and art jokes can be identified which
was unintended by both: art jokes once aspired to convey non-comprehension but,
despite themselves, turned into a medium for disseminating and comprehending
modern art - they had all too well understood art's negating element in view
of what had already been understood. But like jokes, art also allowed itself
to become involved in unconscious processes. It became situational and
reflexive, shamelessly breaking taboos, evading social norms, adapting itself
to rapid modernism until it reached a temporary pointedness in a heightened
production of meaning - and thus became just as punch-line oriented as jokes
are. It now seems high time to explore and relate art and jokes to each other
in their relationship of rejection, differentiation, reflection and
penetration.
Wolfgang Pauser